23.10.2012

Welcome to Tulsa


Denkt man als Außenstehender - in diesem Fall als Bewohner jedes nicht-nordamerikanischen Kontinents - an Tulsa, so stellt sich meist zunächst die Frage: "Was ist das?". Hat man den Begriff schließlich mit einer Stadt asoziiert, führt das in der Regel zur nächsten Frage: "Wo ist das?". Doch selbst der Hinweis auf den Bundesstaat Oklahoma bringt nicht immer Aufschluss, denn obwohl Oklahoma dem Namen nach durchaus geläufig ist, trifft das nicht zwangsweise auf seine geographische Lage zu, "irgendwo da in der Mitte oder unten" ist die geläufigste Abschätzung (vgl. "Die unbedeutensten Bundesstaaten der USA" Rand McNally, National Geographic, 2000).


Ob seiner eigenwilligen Form wird Oklahoma auch der Panhandle State genannt (Hinweis an den Leser Sebastian T.: PanHANDLE und nicht PanCAKE). Der namensgebende Landesteil im Nordwesten war die längste Zeit Niemandsland zwischen Texas, Colorado, New Mexico und Oklahoma (vgl. "Staaten, die wie Kochgeschirr aussehen", Alfred Biolek, Bio-Leck-Verlag 1995). Irgendwann im Laufe der Geschichte wurde Gegend dem Bundesstaat Oklahoma zugeteilt und fristet heute sein Dasein als Niemandsland zwischen Texas, Colorado und New Mexico. Wahrscheinlich wurde das Land, das niemand so recht haben wollte, deswegen Oklahoma zugeschrieben, weil der Staat Oklahoma sich damals am wenigsten dagegen wehren konnte - kein Wunder, waren doch die Einheimischen hier zu dieser Zeit mit ganz anderen Sorgen beschäftigt, nämlich der Verdrängung der letzten Indianerstämme aus Oklahoma, die erst in den Jahrzehnten zuvor nach Oklahoma verdrängt worden waren. Im Zuge des bis über die Landesgrenzen hinaus bekannten Oklahoma Land Run duften ab 12 Uhr Mittags am 22. April 1899 wagemutige Glücksritter ab einer definierten Startlinie ins Indianerterritorium vordringen - vorzugsweise zu Pferd, da alltagstaugliche Autos sowie Mobility Scooter erst viel später erfunden werden sollten - und sich dort ohne Rücksicht auf rothäutige Verluste ihr Land abstecken und den Traum von den eigenen vier Steppenhexen erfüllen zu können. Einige findige Glücksritter haben sich jedoch schon vor dem eigentlichen Start klammheimlich in das gelobte Land geschlichen und in Erdlöchern oder hinter Steppenhexen gewartet, bis der Land Run offiziell eröffnet worden war, nur um dann wie aus dem Nichts aus Erdlöchern oder hinter Steppenhexen aufzutauchen und die schönsten Stücke Land in Besitz zu nehmen, bevor sich ein ehrlicher Glücksritter auf einem keuchenden Postross dorthin verirrt und Ansprüche gestellt hätte. Und weil diese findigen Leute früher (engl. sooner) als die Anderen vor Ort waren, wird Oklahoma auch als der Sooner State bezeichnet, denn man ist sich seines ruhmreichen historischen Erbes durchaus bewusst (vgl. "Sooner or Later - Claiming Property in Land Runs", Tom Cruise, Cruising with Tom Cruise 1992)

Nach diesem kleinen Exkurs über die abwechslungsreiche und Jahrtausende alte Geschichte Oklahomas wird der Stadt Tulsa nun wieder die Aufmerksamkeit zuteil, die ihr gebührt. Tulsa liegt in der nordöstlichen Ecke von Oklahoma, dort, wo sich der Arkansas River malerisch durch weite Steppen schlängelt.



Die Stadt an sich hat knappe 400.000 Einwohner, während sich in der Metropolregion etwa 950.000 Leute tummeln. Von diesen Leuten sind etwas mehr als 60% Weiße, jeweils 15% Hispanics und Schwarze und der mickrige Rest teilt sich auf ein paar Indianer und eine handvoll Asiaten auf. Die Stadt wurde in den 1830er Jahren gegründent, aus der Tatsache heraus, dass zu dieser Zeit auf genau diesem Fleck Erde ein Indianerstamm gelebt hat, den zu vertreiben es galt. Einige Zeit später ist im Umland von Tulsa schwarzes Gold gefunden worden, keine "Clean Charcoal" (vgl. "Scheiß auf die Umweltverschmutzung", Mitt Romney, Rauch & Ruß-Verlag 2012), sondern Erdöl. Diese Ölquellen sind heutzutage größtenteils versiegt oder in Länder mit geringeren Lohnkosten - Nigeria oder den Golf von Mexiko - outgesourct worden. Nur ein paar verlassene Ölbohrtürme ragen als stumme Zeugen der einstigen Blüte des Ölgeschäfts vereinzelt in den Himmel über Tulsa.


Auch die Eisenbahn war zur damalige Zeit - und ist es in Form von Güterzügen, die genauso lang wie -sam sind auch heute noch - ein gern gesehener Gast in Tulsa, wovon eine übrig gebliebene Dampflokomotive zeugt.


Und nicht nur Eisenbahnen, nein, auch Straßen gab und gibt es in Tulsa, unter anderem tangiert die weltberühmte Route 66 von Chicago nach Los Angeles die Stadt.


Diesen drei Einflussfaktoren - Öl, Eisenbahn und Route 66 - ist es zu verdanken, dass Tulsa im Laufe der Zeit zu einer blühenden Stadt aufgestiegen ist. Und selbst die schwarze Bevölkerung - damals noch viel massiver als heute gesellschaftlichen Ausgrenzungen ausgesetzt - brachte es in Tulsa zu einem Wohlstand, der landesweit seines Gleichen suchte und dem prosperierenden Greenwood-District nördlich des Stadtzentrums den Ruf einer "Black Wall Street" einbrachte. Doch dieser Ruf war nur von Kurzer dauer, denn da die Indianer schon einige Jahrzehnte zuvor vertrieben worden sind und aus diesem Grund der kriegerische weiße Mann von Langeweile geplagt war, wurde der Greenwood District im Jahre 1921 während der berühmt-berüchtigten Rassenunruhen von Tulsa aufgrund von Nichtigkeiten in akribischer Kleinarbeit niedergebrannt, wovon auch heute noch üppige Brachflächen nördlich des Stadtzentrums zeugen.
Glücklicherweise hat der weiße Mann damals nicht die gesamte Stadt niedergebrannt, und so findet sich heutzutage im Zentrum von Tulsa die höchste Dichte an Häusern im Art-Deco-Stil in den ganzen USA.






Direkt südlich des Stadtzentrums befindet sich die Boston Avenue Methodist Church, ein Meisterwerk des Art-Deco der späten 20er Jahre, liebevoll eingebettet in hektargroße Parkplätze.



Aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet kommt die phallistische Gestalt des Gebäudes besonders zur Geltung (vgl. "Gotteshäuser als Phallussymbole", Kardinal Hermann Groer, Lausbubenverlag 1990).


Als man im Laufe der Zeit vieler der alten Häuser überdrüssig wurde, hat man Tulsa gemäß der amerikansichen Tradition einer umfangreichen Stadterneuerung mit der Abrissbirne unterzogen und einige der Art-Deco-Häuser durch modernere Bauwerke, die meisten aber - wie rund um die Boston Avenue Methodist Church - durch Parkplätze ersetzt, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurden, wobei eine besondere Charakteristik dieser Parkplätze das komplette Fehlen von Bäumen oder sonstigen Schattenspendendern und gestalterischen Elementen darstellt. (vgl. "Stadtverschönerung mit Parkplätzen", Bob der Baumeister, Bundesinnung der Asphaltgießer 1960).

Auch wurden manche der Häuser originalgetreu renoviert.


Und weil die überwiegende Mehrheit der Bauwerke, die sich um die Parkplätze gruppieren, mehr zum Arbeiten denn zum Wohnen gedacht sind, spielt sich das Leben außerhalb der Arbeitszeit überall, nur nicht im Stadtzentrum ab und während sich an einem Samstag Nachmittag Milliarden Menschen über den Times Square in New York schieben, herrscht entlang der Main Street von Tulsa eine beschauliche Ruhe, die nur von gelegentlich vorbeiwehenden Steppenhexen gestört wird.


Außerhalb des Stadtzentrums teilt Tulsa das einheitliche Aussehen vieler amerikanischer Großstädte - ein rechtwinkeliges Straßennetz, dessen Hauptstraßen entweder in Nord-Süd oder Ost-West-Richtung ausgerichtet sind, was die Orientierung für Ortsfremde ungemein erleichtert, nach einiger Zeit aber zu Langeweile führen kann, da so das Abenteuer des sich Verfahrens geradezu ausgemerzt wird.


Im Gegensatz zu San Francisco hatten die Stadtplaner von Tulsa zum Glück das Glück, tatsächlich annähernd flaches Land anstelle von steilen Hügeln vorzufinden, als es darum ging, die Straßenplanung in die Realität umzusetzen (vgl. "Auf dem Plan sah das Land flach aus", Briefe aus dem Straßenbauamt San Francisco, 1906).

Zwischen diesen Straßen finden sich vorzugsweise Einfamilienhäuser, die der gemeine Amerikaner gegenüber dem Leben in Wohnungen favorisiert, was der Stadt von oben betrachtet den Eindruck eines Dorfes zu Füßen zahlreicher Bäume verleiht und mit einer weiten Weitläufigkeit der Stadt einher geht. Mittlerweile hat das Auto das Pferd als favorisiertes Transportmittel über diese weiten urbanen Distanzen abgelöst und man ist als Bewohner von Tulsa gut beraten, sich ein Automobil zu halten, was insbesondere aufgrund eines nicht vorhandenen öffentlichen Nahverkehrs und nicht vorhandener öffentlicher Gehsteige zu empfehlen ist. Mit zwei Impressionen meines aktuellen Forbewegungsmittels - hier in Gestalt eines Dodge Chargers, seines Zeichens das einzige amerikansiche Auto mit gelungenem Design und angenehmen Fahreigenschaften - schließt dieser erste Bericht aus Tulsa ab.


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