24.10.2012

Panem et Circenses

Was den antiken Römern die Gladiatorenspiele und den alten Griechen die Theateraufführungen waren, das sind der Bevölkerung in den ländlicheren Regionen der USA die Drag Races. Während sich im römischen Imperium größere Städte mit einer Arena schmückten, so bereichert ein eigener Drag Race Course - nicht selten verehrt als Stätte der Hochkultur und oftmals einem griechischem Theater gleich eingebettet in die wunderbare Kulisse der Natur - das Stadtbild vieler amerikanischen Ansiedlungen. Auch Tulsa stellt hierbei keine Ausnahme dar und nennt den Tulsa Raceway Park sein Eigen, liebevoll angelegt im Schatten von Lagerhallen und Brachland am nördlichen Stadtrand.


Mitte Oktober war es so weit, unter dem hochklingenden Namen "Throwdown in T-Town" wurde das bevorstehende Ereignis auf dem Tulsa Raceway Park angekündigt. Der Eintritt war frei, jedoch war eine Parkgebühr fällig, die vom Sinn her einem Eintrittspreis entsprochen hat, denn mangels öffentlichem Nahverkehr ist es dem interessierten Besucher schier unmöglich, ohne sein eigenes Gefährt an den Ort des Geschehens zu kommen. Die nicht vorhandenen öffentlichen Parkmöglichkeiten in der umittelbaren Umgebung der Rennstrecke trugen auch dazu bei, Geld in die Kasse der Veranstalter zu spülen. Zehn Dollar waren in Summe zu berappen, um sein Auto auf einer Wiese abstellen zu dürfen - zehn Dollar pro Auto, unabhängig von dessen Auslastung, was sparsame Mitbürger dazu veranlasst hat, ganze Großfamilien auf  zwei Sitze in einer Pick-Up-Kabine zu zwängen.

Die Grundregeln des Drag Racings sind sehr kompliziert und komplex: Die exakte Anzahl von zwei Fahrern, aufgeteilt auf zwei Fahrzeuge einer gleichen Klasse, tritt gegeneinander an, um unter der Prämisse, die vorgegebene Strecke, die sich je nach Veranstaltung auf eine Viertel- oder Achtelmeile beschränkt, schnellstmöglich und in jedem Fall schneller als der Mitstreiter zurückzulegen, ohne dabei das eigene Fahrzeug aus der vorgegebenen Spur zu lenken, was negative Auswirkungen nicht nur auf den Zustand des Fahrzeuges, sondern auch auf Leib und Leben des zugehörigen Fahrers haben kann (vgl. "Von Cricket bis Drag Racing - Sportregeln, die niemand versteht", Roy Referee, Sportschau 1985).


Wie bei anderen anspruchsvollen amerikanischen Sportarten - Schlammringen und Kuhfladenweitwurf seien hier als positive Beispiele genannt - steht auch beim Drag Racing der Fan im Mittelpunkt. Anders als in anderen Ländern üblich sind weder das Fahrerlager noch der Wartebereich für die nächsten Rennen mit hohen Zäunen vom gemeinen Fan abgeschrimt, sondern frei zugänglich und ein Kontakt des sportbegeisterten Publikums mit den Protagonisten des Ereignisses ist nicht nur gestattet, sondern sogar von beiden Seiten willkommen, vertreiben sich doch auch die Fahrer die Wartezeit auf das nächste Rennen gerne mit einer Unterhaltung mit interessierten Zuschauern, insbesondere dann, wenn sie von einem anderen Kontinent stammen (vlg. "Is this Yurp?", George W. Bush, Globetrotter-Verlag 2000). Bei einem konspirativen Gedankenaustausch mit einem Drag Racer erfährt man viele Fakten über diese abwechslungsreiche Sportart, die einem vorher - wohl auch mangels solcher Veranstaltungen im Heimatland - nicht bewusst waren.


So verfügt ein oben abgebildetes Auto der Pro-Modified-Klasse über einen Motor mit etwa 9 Liter Hubraum und die Stärke von 2.500 bis 4.000 Normpferden. Der maximale Krafstoffverbrauch liegt bei sparsamen 370 Litern pro Minute, die über ungefähr 40 Einspritzdüsen mit einem Druck von 35 Bar in die Zündkammern gepumpt werden. Wasser ist als Kühlmittel für einen solchen Motor nur bedingt zu empfehlen und würde unter den gegebenen Bedingungen - Drehzahlen von bis zu 8.000 Umdrehungen pro Minute - schneller verdampfen, als ein Drag Racer für die Achtelmeile braucht. Aus diesem Grund wird auf Luft als Kühlmittel zurückgegriffen, wovon die überdimensionalen Lufteinlässe über dem Motor zeugen, die pro Rennen unzählige Kubikmeter Luft ansaugen - und zwar so schnell, dass am Ende des Rennens die Einlassklappen regelmäßig vereisen. Die Beschleunigungswerte liegen bei ungefähr 0,7 Sekunden auf 160 Kilometer pro Stunde, was jeden Turboporsche alt aussehen lässt und zu Traumzeiten von etwas weniger als vier Sekunden auf die Achtelmeile und Endgeschwindigkeiten jenseits der 300er-Marke führt, die nach der Ziellinie stilgerecht mit Bremsschirmen reduziert werden. Leider führt die hohe Geschwindigkeit während des Rennens dazu, dass Drag Racer während ihres zugedachten Einsatzes sehr schwer zu fotografieren sind und sich in der Regel als nur Schatten ihrer selbst auf der Speicherkarte verewigen.


Während eines Rennlaufs werden - inklusive Warm-Up und Burn-Out - etwa 80 Liter Kraftstoff pro Fahrzeug verbraucht, während die Geräuschkulisse gut und gerne an der 140-Dezibel-Marke kratzen kann, was Drag Racing als idealen Sport für umweltbewusste Mitmenschen und ruhebedürftige Wutbürger und Drag-Race-Veranstaltungen als perfekte Basis für die Bewerbung von Hörgeräten erscheinen lässt, denn  langjährige Fans tragen bei solchen Events ihre Hörgeräte mit Stolz und werden von der hellhörigen Jugend ehrfürchtig bewundert (vgl. "Hä!?", National Drag Racing Association 2010). Ob der Geräuschemmission würden sich Drag-Race-Strecken auch perfekt dazu eignen, die Probleme von Fluglärmgängern zu beseitigen, denn einige gut platzierte Rennstrecken in den Orten rund um den Flughafen Frankfurt - oder Berlin, Hamburg, ... - werden nach kurzer Zeit dazu führen, dass der Fluglärm bei den betroffenen Wutbürgern eine untergeordnete, wenn nicht minimale, Rolle spielen wird.


Der Fahrer eines Drag Racers wird einer g-Kraft von bis zu +3g während dem und -2g nach dem Rennen - wenn die Bremsschirme ihre volle Wirkung zeien - ausgesetzt, ein Umstand, der durchaus zu der Überlegung veranlasst, ob diese dauerhafte Belastung des Körpers nicht zu bleibenden Schäden führen könnte, ein Gedankengang, der den meisten Drag-Racer-Fahrern nicht bewusst ist, rekrutieren sie sich doch meist nichtt aus dem Bildungsbürgertum , sondern aus Familien, die seit Generationen schon Drag Racing betreiben und ihre Kinder auf Rennstrecken gezeugt, geboren und aufgezogen haben (vgl. "Auf diesem Billiardtisch wurde ich gezeugt, geboren und aufgezogen", Hausmeister Willie, Highland-Verlag 2001).

Mit einem kurzen Streifzug durch das Fahrerlager endet dieser Bericht von einem Abend voller abwechslungsreicher Unterhaltung auf höchstem Niveau.




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